Eines Morgens fragte das Gespenst, ob es denn keinen Experten gäbe, der sich mit dieser Fragestellung auskannte. Diese harmlose Frage hatte eine durchschlagende Wirkung. Alle redeten plötzlich wild durcheinander, und jeder hatte eine eigene Idee, welchen Experten man zu diesem Thema befragen könnte. Der Prinz gab zu bedenken, dass ein Experte bezahlt werden müsse. Er wusste nicht, ob der König dieses Geld bewilligen würde. Da machte der Ritter eine ganz einfache, aber sehr plakative Rechnung auf: „Was ist günstiger: Einen Experten für ein paar Tage zu engagieren, oder eine sechsköpfige Mannschaft einen Sprint lang ergebnislos arbeiten zu lassen?“ Mit diesem Argument ging der Prinz zum König. Zurück kam er mit der Erlaubnis, einen externen Experten für zwei Tage zu konsultieren. König Schærmæn hatte auch schon entschieden, welcher Experte für diese Aufgabe infrage käme, und schickte sofort einen Boten zum Mount Maccynzi. Dort wohnte ein Mann, dem eine sehr große Erfahrung mit Drachen nachgesagt wurde. Sein Ruf eilte ihm weit voraus, und sein Name genoss auch im Königspalast von Wieimmerland einen guten Ruf.
Das tapfere Schneiderlein
Drei Tage später knirschte der Kies im Innenhof der Sommerresidenz unter den Hufen eines Pferdes. Es trug eine prächtige und reich bestickte Kuvertüre. Dieser Pferdeüberwurf war sonst nur bei Ritterturnieren üblich. Der Reiter stieg ab und führte das Ross zu den Stallungen, wo es vom Stallmeister in Empfang genommen und zur Tränke gebracht wurde. Der Stallmeister wunderte sich über die wertvolle, aber der Situation unangemessene Kleidung des Pferdes. Dann musterte den Reiter – ein Mann mittleren Alters mit fein geschnittenen Gesichtszügen und einem sehr souveränen Auftreten, die elegante Kleidung Ton in Ton mit der Kuvertüre seines Pferdes. Er fragte den Stallmeister nach dem Prinzen, und der wies ihm den Weg zum Kaminzimmer.
Im Kaminzimmer hatte gerade das Daily Scrum begonnen. Die Hexe und der Ritter diskutierten angeregt, und der Prinz war drauf und dran, dieses Zwiegespräch abzubrechen, als plötzlich die Tür aufflog. Alles drehte sich um, als die Tür krachend gegen die Wand schlug und sich dann quietschend zurückbewegte. Im Türrahmen stand der fremde Reiter und schaute sich teilnahmslos um. Alles starrte ihn an, und niemand wagte, ein Wort zu sagen. Sogar die Hexe und der Ritter hatten ihr Gespräch mitten im Satz abgebrochen. Endlich rührte sich der Prinz und ging auf den Fremden zu. „Ihr müsst der Drachenexperte sein, den mein Vater, König Schærmæn der Weißnichtwievielte, angekündigt hat. Seid willkommen auf unserer Sommerresidenz!“ „Prinz Rollo, nehme ich an?“, fragte der Fremde, und als der Prinz nickte, fuhr er fort: „Ich darf mich kurz vorstellen. Mein Name ist Roland Schneider, Drachenberater. Wohnhaft am Fuße des Mount Maccynzi. Ich nahm es dereinst mit sieben Drachen zugleich auf!“ Mit diesen Worten wies er auf seine Schärpe, auf der in wunderschönen goldgewirkten Lettern zu lesen war: „Sieben auf einen Streich“. Die Musketiere waren nun erst recht sprachlos. Dieser Mann schien sein Handwerk zu verstehen! Wer dermaßen selbstbewusst auftrat, der musste im Umgang mit den fliegenden Biestern stets die Oberhand behalten. Das gepflegte Äußere und die elegante Kleidung trugen ihren Teil zu diesem furcht- und tadellosen Bild bei. Der Prinz stellte dem Drachenberater die Mitglieder seiner Mannschaft vor. Dann wollte er sich kurz mit Monsieur Schneider zurückziehen, um gemeinsam den weiteren Tag zu planen. Der Berater wandte sich jedoch direkt an die Mannschaft und sagte in einem Ton, der keine Widerworte zuließ: „Wir treffen uns in exakt einer Stunde hier im Raum. Ich erwarte von jedem eine kurze Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse über meine gefiederten Freunde. Anschließend präsentiere ich meine Best Practices zur Drachenbeseitigung. Daraus leiten wir dann gemeinsam eine Balanced Scorecard ab, in der wir die Tricks der Feuerspucker gewichten, um die Neutralität der Priorisierung zu gewährleisten. Die Balanced Scorecard bringen wir morgen in Korrelation mit der Fallenkonstruktion. Dann fehlt nur noch eine SWOT-Analyse Eurer Falle, und schon wissen wir, wohin die Reise am Ende des Tages gehen muss. Ihr habt wie gesagt eine Stunde Zeit. Bis dahin lasse ich mir von Eurem Chef einen Überblick über den Projektstatus geben. An die Arbeit! Und denkt immer daran: Bei allem, was wir tun, müssen wir gut ‚aligned‘ sein!“ Fassungslos starrten die Musketiere den Berater an. Die Hexe murmelte etwas, das entfernt nach „Bingo!“ klang. Aber das hörte der Berater schon nicht mehr, denn er bugsierte den ebenfalls perplexen Prinzen vor sich her, hinaus in den Hof und weiter in den Garten. Dort setzten sich beide auf eine Gartenbank, und der Prinz versuchte, den Stand der Dinge so gut und exakt wie möglich wiederzugeben. Herr Schneider fragte immer wieder nach, und der Prinz antwortete ergeben, selbst wenn er nicht immer wusste, was genau die eine oder andere Frage bezweckte. Aber es half nichts – schließlich wollte sich nicht vorwerfen lassen, den Einsatz des Beraters dadurch gefährdet zu haben, dass er wichtige Details verschwiegen hatte. Und so plauderte er fröhlich aus dem Nähkästchen. Das clevere Schneiderlein schrieb fleißig mit. Dem Prinzen drängte sich mit der Zeit ein Gedanke auf, den er aber gleich wieder verwarf: „Was, wenn das tapfere Schneiderlein einen Großteil seines Wissens aus solchen Gesprächen hätte? Dann würde es mit den Erfahrungen, die andere gemacht haben, seine Dukaten verdienen. Ach, nein, das ist nun wirklich zu absurd – und böse obendrein …“
Am nächsten Morgen musste der Prinz um das Daily Scrum kämpfen. Das tapfere Schneiderlein war offensichtlich noch niemandem aus dem Land Scrum über den Weg gelaufen, den es hätte ausfragen können. So musste es sich kurz über den Sinn und Zweck des Daily Scrum aufklären lassen. Es verstand zwar nicht so recht, warum sich die Musketiere untereinander austauschen sollten und jeder selbstständig eine Aufgabe übernahm, aber er ließ sie gewähren. Anschließend setzten sich alle zusammen. Aschenputtel und Gespenst berichteten von den Interviews, die sie in einer der Fallenwerkstätten geführt hatten. Zu diesem Bericht gab es vom Drachenberater keinen Kommentar, weshalb sich die Vortragenden fragten, warum sie ihre Erkenntnisse überhaupt hatten vorstellen sollen. Hexe und Großväterchen präsentierten die bisher gesammelten Erkenntnisse und erläuterten das Schema, nach dem diese Informationen gruppiert worden waren. Herr Schneider machte den Vorschlag, die gruppierten Informationen zu gewichten, und zeigte an einem mitgebrachten Beispiel aus einem anderen Projekt, wie man dies zu bewerkstelligen hatte. Die Musketiere waren schnell überzeugt. Die Hexe, der dieser schneidige Kerl nicht nur fachlich gut gefiel, hauchte bewundernd: „Da wäre ich nie drauf gekommen!“ Davon gänzlich unbeeindruckt begann der Berater, seinen reichen Erfahrungsschatz von Drachenfallen und Befreiungsversuchen vor den Musketieren auszubreiten. Wieder beschlich den Prinzen das sonderbare Gefühl, das er schon beim gestrigen Projektbericht hatte. Dann sagte der schlaue Herr Schneider plötzlich einen Satz, der das Gespenst aufhorchen ließ: „Um die Verhaltensweise der Drachen nachvollziehen zu können, musst Du nicht unbedingt fliegen können, aber Du musst denken wie ein Drache und Dich von Deinen Urinstinkten leiten lassen.“ Diesen Satz hatte das Gespenst schon einmal irgendwo gehört oder gelesen – aber wo?
Der Berater fuhr mit seiner Präsentation fort, aber das Gespenst hörte Herrn Schneiders Worte nicht mehr. Es war zu sehr damit beschäftigt, den Ursprung dieses Zitats zu ergründen. Je länger es darüber nachdachte, desto mehr schwand die Hoffnung, dass es ihm jemals einfallen sollte. Als die Sonne einen Eiszapfen vor dem Fenster anstrahlte und die Lichtreflexion das Auge des Gespensts traf, war der Geist für einen Moment abgelenkt – lange genug, um seine Gedanken auf einen anderen Pfad zu lenken, an dessen Ende des Rätsels Lösung lag. Der Gedankenblitz durchzuckte das Gespenst förmlich. Natürlich! In der Fallenfabrik war es gewesen, als der Geist den Satz zum ersten Mal gelesen hatte. Er stand auf einer hölzernen Tafel, die im Arbeitszimmer des ersten Fallenbaumeisters an der Wand hing. Darunter stand der Name „Hectorius der Zweite“ – Begründer der modernen Fallenbaukunst. Das Zitat, so hatte der Fallenbaumeister seine Gäste aus der Sommerresidenz aufgeklärt, war ganz neu. Hectorius hatte es vergangene Woche auf einer Fachtagung als Schlusswort seines Vortrags verwendet. Dem Baumeister hatte der Spruch so gut gefallen, dass er ihn von einem Lehrling in Holz schnitzen ließ. Ein weiterer Gedanke durchzuckte das Gespenst. Sollte der Berater etwa neulich erst beim Fallenbaumeister gewesen sein? Davon hatte er gar nichts erzählt! So langsam kam dem Gespenst die Sache ein wenig eigenartig vor. Über das viele Grübeln hätte das Gespenst beinahe die Pause verpasst, die Herr Schneider eingeläutet hatte. Alle hatten den Raum bereits verlassen. Das Gespenst wollte hinterher schlendern, als sein Blick auf die Unterlagen fiel, die der Berater auf seinem Tisch ausgebreitet hatte. Einen kurzen Moment kämpften Engelchen und Teufelchen im Kopf des Gespensts, bis der Gehörnte endlich gesiegt hatte und dem Gespenst zuflüsterte: „Na los – worauf wartest Du noch? Sieh mal nach, was der Schlauberger auf seinen Zetteln stehen hat!“ Das Gespenst tat, wie ihm geheißen, und überflog die Schneiderschen Unterlagen. Zunächst entdeckte es eine Abschrift von Originalplänen aus der Fallenwerkstätte, in der das Gespenst das Zitat gesehen hatte. Nun schloss sich der Kreis! Vorsichtig schob der Geist ein Blatt Papier zur Seite, um das darunter liegende Blatt freizulegen – und erschrak. Vor ihm lag eines jener Interview-Protokolle, die das Gespenst gemeinsam mit dem Aschenputtel bei den Recherchen in der Werkstatt angefertigt hatte! Deshalb hatte sich das durchtriebene Schneiderlein beim Bericht über die Interviews zurückgehalten! Das Gespenst legte das beiseite geschobene Blatt wieder an seinen ursprünglichen Platz zurück und folgte den anderen Musketieren, um schnell noch einen Kaffee zu trinken, bevor die Pause schon wieder zu Ende war. Seine Entdeckungen behielt das Gespenst vorerst für sich.
Beim Mittagessen war man unter sich. Das tapfere Schneiderlein war in die Stadt geritten, um dort einem anderen Klienten zu helfen. So konnten sich alle ungestört über die Ergebnisse des Vormittags unterhalten. Die Hexe wiederholte ihre Bewunderung und fügte hinzu, dass sich ihre Zweifel jetzt in Luft aufgelöst hätten. Das Aschenputtel merkte an, dass die Ergebnisse der Musketiere nahezu deckungsgleich mit den Erfahrungen des Beraters seien, und dass es gut wäre, eine solche Bestätigung der eigenen Arbeit bekommen zu haben. Der Ritter war unzufrieden: „Die Idee mit der Gewichtung der Ergebnisse hätte auch von mir sein können. Dieser Schneider hat uns nichts, aber auch gar nichts Neues erzählt, und das erwarte ich eigentlich von einem Berater! Schade um das schöne Geld!“ Die Meinung des Prinzen lag irgendwo dazwischen, aber das behielt er für sich. Wie sähe es wohl aus, wenn er, der vor dem König für das Team um den Beratereinsatz gekämpft hatte, jetzt Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieses Mandats hätte? Endlich brach das Gespenst sein Schweigen und berichtete von seinen Beobachtungen. Als sein Bericht geendet hatte, herrschte betretenes Schweigen. Der Prinz musste die Situation retten, bevor sich das gesamte Team gegen den Berater verschwor. Hastig sagte er: „Das ist sicherlich eine interessante Erkenntnis – aber es ist ja nicht verboten, in die Fallenwerkstätten zu gehen und die gleichen Fragen zu stellen, die auch Euch in die Werkstätten geführt haben, oder? Darüber hinaus hat mir Monsieur Schneider glaubhaft versichern können, dass er über praktische Erfahrungen mit Drachen verfügt.“ „Aber kennt er wirklich alle Drachenarten?“, wollte der Ritter wissen. „Wie sonst soll er uns die häufigsten Befreiungsversuche nennen können?“, lautete die Gegenfrage des Prinzen. „Vielleicht verspricht er mehr, als er tatsächlich halten kann?“, mutmaßte das Gespenst. Wieder musste der Prinz schnell eingreifen. „Nun lasst uns mal den Nachmittag abwarten“, sagte er gereizt, „Ich kann mir nichts unter einer SWOT-Matrix vorstellen und bin gespannt, wie wir mithilfe einer Matrix unser Problem in den Griff bekommen sollen.“
Herr Schneider kehrte pünktlich aus der Stadt zurück. Er traf das Team am Tor der Residenz an. Die Musketiere hatten einen gemeinsamen Verdauungsspaziergang unternommen, und dank der klaren Winterluft waren die Gemüter wieder abgekühlt. Als die Hexe die wunderschöne Kuvertüre des Schneiderschen Rosses erblickte, blieb ihr vor Staunen der Mund offen stehen. „So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen!“, schmachtete sie den Berater an, „sagt, werter Herr Schneider: Wo habt Ihr diesen wunderbaren Stoff her?“ Auch das Aschenputtel konnte nicht anders, als das Pferd zu streicheln und dann den edlen Stoff zu fühlen. „Und diese kunstvolle Stickerei!“, entfuhr es dem Mädchen, das sich auf Handarbeiten verstand, „So exakt und dennoch lebendig gearbeitet! Ihr müsst mir die Adresse Eures Schneiders verraten, Monsieur Schneider!“ Dem Berater gefiel es sichtlich, dass er einen großen Eindruck auf die die Damen des Teams machte. Er spendierte kleine Komplimente, die dem Ritter die Zornesröte ins Gesicht stiegen ließen, um dann kurz und knapp zu verkünden: „Auf, auf – wir haben schon zu viel Zeit verloren in Anbetracht der Tatsache, dass es noch viel zu tun gibt! Über Mode können wir uns später unterhalten. Jetzt wird erst einmal gearbeitet!“ Dann gab er seinem Pferd die Sporen, und als die Musketiere das Kaminzimmer erreichten, hatte Herr Scheider bereits seine SWOT-Matrix an eine der Schiefertafeln gemalt. „In der SWOT-Analyse geht es im Wesentlichen darum, einen Überblick über die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken zu bekommen.“ Und dann begann er damit, Eigenschaften der Drachen und der Falle sowie Charakteristika der Befreiungsversuche in einen der vier Quadranten zu schreiben. Die Wahl des Quadranten schien dem Prinzen recht wahllos zu sein. Ab und zu fragte der Ritter nach, warum der Berater eine Eigenschaft genau diesem Quadranten zugeordnet hatte. Meistens schloss sich dann eine Diskussion an, an deren Ende sich entweder der Ritter geschlagen gab, oder der Berater „auf ausdrücklichen Kundenwunsch“ die Eigenschaft in den vom Ritter gewünschten Quadranten eintrug. Die anderen Musketiere saßen staunend vor der Matrix, als ob sie die Lösung aller Probleme wäre. Irgendwann – es war bereits später Nachmittag – fragte der Ritter, was die Matrix mit der ursprünglichen Frage nach den drei Bereichen zu tun hatte, in denen die Drachen am anpassungsfähigsten waren. Da wurde der Berater ungehalten, schaute den Ritter mit einem kalten Blick an und sagte: „Werter Ritter, geschätzte Musketiere – Ihr seid doch ein erfolgreiches Team, wie mir Prinz Rollo mehrfach versichert hat. Da kann man wohl verlangen, dass Ihr den letzten Rest des Weges alleine geht. Ich habe Euch die Vorarbeit abgenommen, die ohne meine Erfahrung sehr langwierig gewesen wäre und einen ungewissen Ausgang gehabt hätte. Gestern haben wir gemeinsam an der Balanced Scorecard gearbeitet. Nun habt Ihr alle Fakten beisammen, um Eure Schlüsse daraus zu ziehen – zum Wohle der Falle, und zum Wohle Eures Königs! Jetzt lasst mich bitte in Ruhe an meiner Abschlusspräsentation arbeiten.“ Er stand auf und verschwand in den Speisesaal, wo der den Küchenmeister um eine Tasse Kaffee bat. Überhaupt schien sich das tapfere Schneiderlein hauptsächlich vom Kaffee zu ernähren. Das Aschenputtel mutmaßte, dass der Berater deshalb so gut in Form war, und nahm sich vor, in Zukunft weniger zu essen und mehr Kaffee zu trinken.
Am frühen Abend kamen alle noch einmal zusammen, um dem Abschlussbericht des tapferen Herrn Schneider zu lauschen. Er fasste die Tätigkeiten der vergangenen zwei Tage noch einmal zusammen. Dann präsentierte er die gemeinsam erarbeitete Balanced Scorecard, wobei er auf die drei Befreiungstricks mit der höchsten Bewertung etwas detaillierter einging – wohl auch, um der Kritik zu entgehen, dass er seinen Auftrag nicht ordentlich erfüllt hat. Bevor er sich vom Team verabschiedete, wies er noch auf all die anderen Bereiche hin, in denen er nachweislich über ein langjähriges Expertenwissen verfügte. Dann ließ er sich vom Prinzen das Säckchen mit der vereinbarten Summe an Dukaten aushändigen, schwang sich auf sein Ross und verschwand in der Dunkelheit des Waldes.
Das Einhorn sagt dazu:
Ach ja – die Berater! Aber ich will nicht lästern, denn schließlich sind wir Einhörner aus Scrum auch beratend tätig, wenngleich wir die Bezeichnung „Change Agent“ oder „Coach“ vorziehen. Und außerdem treten wir nicht so nassforsch auf wie der Herr Schneider, sondern versuchen zunächst, das Team zu verstehen. Herrn Schneider geht es, wenn man wohlwollend ist, allein um die Sache. Und wenn man boshaft ist, dann geht es ihm vor allem ums Geld … Mir hingegen geht es vor allem darum, Euch klarzumachen, dass ein Projektteam mit einem guten Know-how-Mix und gesundem Menschenverstand manchmal mehr wert ist als der beste verfügbare externe Experte. Ihr habt ja gesehen, dass das Team bereits auf dem richtigen Weg war und nur von seinen Selbstzweifeln gebremst wurde. Da hätte der ScrumMaster durchaus etwas für das Selbstbewusstsein des Teams tun können. Leider war sich Prinz Rollo selber unsicher. Nun gut – um dieser Unsicherheit zu begegnen, ist das Konsultieren eines externen Experten sicherlich eine adäquate Maßnahme. Ich gebe allerdings zu bedenken, dass man nur selten die Koryphäe bekommt, die man eigentlich haben wollte. So viele „echte“ Experten gibt es nämlich gar nicht. Und selbst wenn sich der herbeigerufene Berater in der Domäne gut auskennt, so ist immer noch nicht sichergestellt, dass sein Expertenwissen auch die konkrete Fragestellung bzw. (bei einer Produktauswahl) das infrage kommende Produkt umfasst. Vielleicht ist sein Wissen auf genau diesem Spezialgebiet nur angelesen?
Ich möchte die Beraterzunft nicht grundsätzlich schlechtmachen. Zweitägige Workshops sind zweifelsohne gut für das Team als Sparringspartner und Reality Check, aber man sollte keine Wunder erwarten. Die Bestätigung, dass man auf dem richtigen Weg war, ist ein wichtiges und wertvolles Ergebnis, das man nicht als Selbstverständlichkeit abtun darf. Mein Appell lautet: Traut Euren Teams mehr zu! Ermutigt sie, sich selbst das Expertenwissen anzueignen. Sobald Ihr aber merkt, dass sie in die falsche Richtung laufen oder sich im Kreis drehen, müsst Ihr handeln. Externe Hilfe wirkt oft schon deshalb Wunder, weil sie von außen kommt. Es muss aber nicht immer ein Berater sein. Eine aufgeschlossene Kollegin oder ein neugieriger Kollege, die zu verstehen versuchen, was Euer Problem ist, werden Euch durch ihre Fragen der Problemlösung zuführen. Probiert es aus!